April 28, 2024

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Deutschland will Verkauf verhindern – DW – 22.07.2023

Deutschland will Verkauf verhindern – DW – 22.07.2023

Da ausländische Investorengruppen in Deutschland immer mehr Praxen kaufen, haben Patienten zunehmend Angst, von ihren Ärzten zu unnötigen medizinischen Behandlungen überredet zu werden. Dies gilt insbesondere für Anbieter teurer Zusatzleistungen, die nicht von den Krankenkassen übernommen werden, wie zum Beispiel Augenkliniken, Radiologiepraxen und Zahnärzte.

Eine im Mai veröffentlichte Studie der Finanzforschungsgruppe Finanzwende Private-Equity-Firmen haben im Jahr 2022 174 deutsche Arztpraxen gekauft, gegenüber 140 im Jahr 2021 und nur zwei im Jahr 2010. Auch nach Recherchen des öffentlich-rechtlichen Senders N.T.RMittlerweile gibt es bundesweit Hunderte von Praxen solcher Unternehmen, die in bestimmten Regionen und Städten sogar eine Monopolstellung einzelner Ketten haben.

Das Thema tauchte im vergangenen Jahr auf dem Radar der Bundesregierung auf. „Ich werde verhindern, dass Investoren in absoluter Profitgier Arztpraxen kaufen“, sagte der sozialdemokratische Gesundheitsminister. Carl Lauterbach benachrichtigt Bild am Sonntag In der Zeitung im Dezember versprach er, einen Gesetzentwurf vorzulegen, „um zu verhindern, dass diese Heuschrecken in Arztpraxen eindringen“.

Investoren statten Arztpraxen mit moderner Ausstattung ausFoto: Benjamin Nolte/dpa/Image Alliance

Bezahlung für Patienten

Horst Helbig, Sprecher der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) und Leiter einer Augenklinik in der Stadt Regensburg, sagte, die investoreneigenen Kliniken seien auf Gewinn ausgerichtet. „Das Ziel einer Investmentgruppe ist es, 100 % Gewinn zu machen – sie brauchen nichts anderes und dürfen am Ende des Tages auch nichts anderes tun“, sagte er. „Natürlich muss eine ärztliche Praxis auch Geld verdienen, aber ihr Hauptzweck ist die medizinische Versorgung.“

Eine Studie des Forschungsunternehmens IGES aus dem Jahr 2022 ergab, dass Kliniken im Besitz von Investoren 10,4 % mehr Gebühren erhielten als Kliniken im Besitz einzelner Ärzte. Einige medizinische Versorgungsverbände wie der BBMV, der die Betreiber von Medizinischen Service-Zentren (MVZ) vertritt, wenden sich jedoch gegen die Schlussfolgerung, dass MVZs medizinisch nicht unabhängig seien.

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In Deutschland gibt es ein zweistufiges Gesundheitssystem, das durch Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern an die Krankenkassen finanziert wird. Die Krankenversicherung ist für die gesamte Bevölkerung obligatorisch und Versicherer, die 90 % der Bevölkerung abdecken, dürfen niemandem den Versicherungsschutz verweigern. Etwa 10 % der Bevölkerung entscheiden sich für eine private Versicherung, die oft einen zusätzlichen Schutz bietet. Insgesamt ist das deutsche Gesundheitssystem mehrere Hundert Milliarden Euro pro Jahr wert.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat versprochen, Investoren davon abzuhalten, aus Gier Arztpraxen zu kaufen.Bild: Omar Messinger/Getty Images

Helbig sagte, die neuen Arztpraxen im Besitz von Investoren hätten eine Tendenz festgestellt, sich auf gewinnbringende öffentlich versicherte Patienten zu konzentrieren. „Manche Patienten sind profitabel, andere kosten Geld, und wir haben festgestellt, dass viele Patienten, die nicht gewinnbringend behandelt werden können, in öffentliche Krankenhäuser verlegt werden“, sagte er der DW.

Dies macht sich besonders bei Augenkliniken wie Helpix bemerkbar, wo es große Preisunterschiede zwischen den Behandlungen gibt, die teilweise nicht von der Versicherung übernommen werden. „Am besten bezahlt werden Kataraktoperationen, wohingegen jede Art von Notfalleingriffen schlecht bezahlt wird“, sagte Helbig.

Ein riskantes Geschäftsmodell

Der Reiz für Private-Equity-Fonds liegt auf der Hand: Finanzwende rechnet damit, dass sie bei ihren Investitionen mit einem Gewinn von bis zu 20 % rechnen können – allerdings nur, wenn sie genügend Praxen kaufen. Finanzwende-Forscherin Aurora Li weist darauf hin, dass das Geschäftsmodell von Private-Equity-Fonds mehrere Praktiken bündelt und auf riskante operative Umstrukturierungen – teilweise über Kredite – setzt, um sie später mit Gewinn verkaufen zu können.

„Der Fokus liegt nicht auf dem operativen Gewinn, sondern auf einem nachhaltigen Cashflow“, sagte Li der DW. „Wenn das Unternehmen also einen stabilen Cashflow aufrechterhalten kann, indem es Ärzte dazu drängt, profitable Behandlungen zu verkaufen, indem es weniger Eigenkapital und mehr Schulden verwendet, kann es das Unternehmen für andere Finanzinvestoren profitabler machen. Mehr Cashflow kann man nur generieren, wenn man viele Arztpraxen hat.“

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„Es ist zutiefst besorgniserregend, wenn Patienten nicht sicher sein können, dass ihre Behandlung nicht von der Aussicht auf Gewinn beeinflusst wird“, fügte er hinzu.

Der versprochene Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Lauterbach ist noch nicht umgesetzt, doch einige Ärzteverbände haben bereits gegen seine Wahl von Begriffen wie „Heuschrecken“ wettert. Das BBMV sagte, Regierungsdaten zeigten keine statistischen Beweise dafür, dass die medizinische Versorgung in Kliniken im Besitz von Investmentfonds noch schlechter sei.

Ärzte, die in den Centers for Medicare and Medicaid Services arbeiten, gaben im Mai einen Brief heraus, in dem sie Lauterbachs Behauptung, ihre Unabhängigkeit könne in Frage gestellt werden, verärgert zurückwiesen. „Als praktizierende Ärzte üben wir unseren Beruf mit der gleichen Leidenschaft und Hingabe für den Patienten aus wie unsere Kollegen in Privatpraxen oder Krankenhäusern. Leider erleben wir, dass unsere Arbeit öffentlich verunglimpft wird.“

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Gewinnmotiv

Tatsächlich weist BBMV darauf hin, dass private Arztpraxen darauf ausgerichtet sind, Gewinne zu erwirtschaften. Das stimmt bis zu einem gewissen Punkt, sagt Helbig. „Sicherlich gibt es viele Ärzte, die in einer Klinik einer Investmentgruppe arbeiten und sich nicht unter Druck setzen lassen“, sagte er. „Sicherlich gibt es Ärzte, deren alleinige Ausbildung in der medizinischen Versorgung keine Priorität hat.“ Er betonte jedoch, dass der Druck in den Kliniken im Besitz von Investoren größer sei.

Roland Stahl, Sprecher des KBV, einer Interessenvertretung deutscher Trainer, vertrat eine versöhnliche Linie. „Nicht jeder Investor ist ein Grashüpfer“, sagte er der DW. Anders verhält es sich jedoch, wenn Investmentgruppen in einzelnen Bereichen Praxen aufkaufen, um Monopole zu schaffen.

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„Das bleibt natürlich abzuwarten, aber die Kapitalinvestition wird positiv sein“, sagte er. „Denn manchmal hilft es, kapitalintensive medizinische Geräte wie Kernspintomographen anzuschaffen.“

Auch Helbig ist grundsätzlich nicht gegen die Idee einer Praxenzusammenführung, da einzelne Praxen unterschiedlichen wirtschaftlichen Belastungen ausgesetzt sind und das System in seiner jetzigen Form nicht funktionieren kann. Einige junge Ärzte sind bereit, die Investition auf sich zu nehmen und eine eigene Praxis mit 60-Stunden-Woche zu eröffnen.

„Es ist sehr schwierig, das alleine mehr zu schaffen“, erklärte Helbig. „Es macht Sinn, all das zu teilen, also ist eine gewisse Veränderung notwendig.“

Herausgegeben von: Rina Goldenberg

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